Ich bin ein leidenschaftlicher Verfechter von Nebenrollen

Ein Gespräch mit dem Schauspieler und Musiker Gustav Peter Wöhler zu seiner Rolle als Biedermann, der in dem Kinofilm Urlaub vom Leben das Leben neu entdeckt.

Poster © Lohmann Group

Im Februar 2006 startete der Film „Urlaub vom Leben“ in den deutschen Kinos. In
der Komödie von der jungen deutschen Regisseurin Neele Leana Vollmar spielt Wöhler an der Seite von Meret Becker einen frustrierten Kassierer bei der Sparkasse, Rolf Köster, dem es gelingt, seiner Familie nicht zu erzählen, dass er Urlaub genommen hat. Heimlich erkundet er mit der Taxifahrerin Sophie (Meret Becker) seine Stadt und beginnt, sich und sein Leben mit neuen Augen zu betrachten. Gustav Peter Wöhler, Schauspieler und Sänger, wohnt seit 1982 in Hamburg, wo er bis 1997 am Deutschen Schauspielhaus gespielt hat. Der Wahlhamburger stammt ursprünglich aus Herford in Westfalen.

Herr Wöhler, Sie sollen ein schüchternes Kind gewesen sein…
Na ja, zwanghaft schüchtern, weil ich so dick war, noch dicker als heute. Da ist man
natürlich schüchtern, weil man Angst hat und gehänselt wird. Aber das Schüchterne war ein Teil meiner Mimikry, unter der Fassade saß der Wille nach draußen. Ich war auch jemand, den man bitten konnte, etwas Theatralisches oder Musikalisches aufzuführen und ich habe das entsprechend sofort gemacht. Ich war schon als Kind eine kleine „Rampensau“. Auch wenn ich es für mich allein war, vor dem Fernseher, mit einem Schneebesen als Mikrofon.
Half Ihnen die Schauspielerei?
Nein, es war eine Chance, mit mir selbst was anzustellen, aus mir etwas herauszulassen, was ich sonst nicht gekonnt hätte.
So wie in Ihrem neuen Kinofilm „Urlaub vom Leben.“ Ist es wahr, dass Sie für
die Dreharbeiten andere Geschichten sausenlassen haben?
Ja, So eine Rolle bekommt man nicht jeden Tag. Außerdem hatte ich vorher schon mit
der Regisseurin Neele Vollmar gearbeitet, bei dem Kurzfilm „Meine Eltern“, das war eine wunderbare Zeit. Da habe ich gleich gesagt, „wenn du wieder was machst, sage ich alles andere dafür ab“. Das Besondere an Neele ist, dass Sie als Regisseurin sehr klare Angaben gibt und trotz ihrer Jugend einem Schauspieler seine Rolle erklären kann, was viele Regisseure gar nicht mehr tun. Sie erarbeitet wirklich die Figuren, außerdem ist sie ein wunderbarer Mensch. Die Arbeit mit ihr ist sehr kreativ. Sie stellt Forderungen, auch an die Filmproduktion. Das gefällt mir, sie ist jemand, der nicht locker lässt und sagt: „Na ja, Hauptsache ich kann den Film irgendwie machen“. Sie sagt: „Nee, wenn ich den Film mache, dann will ich das auch so wie ich es mir vorstelle“.
Die Regisseurin Neele Vollmar hat Ihnen also auch eine klare Vorstellung von der Figur Rolf Köster vermittelt, die Sie in dem Film spielen?
Wir haben uns bei dem ersten Drehbuchentwurf zusammengesetzt und gemeinsam ein
paar Details an Rolfs Rolle umgeschrieben und verändert. So hatten wir beide eine klare Vorstellung von der Figur.
Haben Sie sich auf diese Rolle intensiv vorbereitet?
Nicht intensiver als sonst. Ich habe das Buch oft gelesen, den Text gelernt. Und habe
geguckt, was hat das mit mir zu tun, wo hole ich da aus mir meine Geschichten dazu
raus. Die Figur entsteht auch mit dem Kostüm.
Schauspielerei ist ja nicht ihr einziges Standbein, Sie sind auch ein erfolgreicher
Musiker. Wie kam es dazu? Zur Musik kam es nicht, Musik war da. Für mich ist Musik eine meiner Hauptlebensadern, einer meiner Hauptzustände. Ich bin ein singender Mensch, auch wenn ich schlafe – Musik ist immer da. Und ich denke, ein Schauspieler muss auch ein musikalisches Talent haben, egal, ob er ein Instrument spielt oder Noten lesen kann, er kann nur mit einem Gefühl für Rhythmus und Melodien in eine Figur schlüpfen. Bei mir kam irgendwann der Moment, wo ich im Theater singen durfte. Meine jetzige Band habe ich alle bei dem Stück „St. Pauli-Saga“ am Deutschen Schauspielhaus kennengelernt. Das waren alles hervorragende Musiker.
Da hat es Ihnen sicher besondere Freude bereitet, bei dem musikalischen Stück
Cabaret in Hamburg mitzuwirken… .
Ich hatte erst überlegt, ob ich da mitmachen will, als mich der Ulrich Waller anrief. Aber dann habe ich gemerkt, wie gern ich die Musik von Cabaret mag, und jetzt macht es mir einen Riesenspaß. Ich bereue es nicht.
Neben Musik und Unterhaltung ist Cabaret vor allem ein politisches Stück aus
der Weimarer Zeit: Für wie politisch halten Sie das Theater in Deutschland
heute?
Das Theater ist immer politisch, das ist meine Meinung, allein die Tatsache, dass Theater
gemacht wird, ist ein Politikum. Wenn man sieht, wie die Subventionen immer mehr
zurückgehen und immer weniger Menschen ins Theater gehen, ist der Vorgang an sich
schon politisch. Ich denke, es gibt kaum ein politischeres Theater als das deutsche. Hier werden ja sogar Klassiker mit politischem Ansatz bearbeitet.
Was halten Sie von der in letzter Zeit öfter aufgestellten Behauptung, dass die
gegenwärtige Stimmung in Deutschland an die Zeit der Weimarer Republik
erinnert?
Absolut gar nichts. Wenn man unsere heutige Zeit mit der Weimarer Republik vergleicht, tut man sich selbst sehr weh. Denn die Weimarer Zeit war nun wirklich eine Epoche der Armut, Naivität, Repression. Wir können die heutige Zeit nicht vergleichen, es gab damals nicht die demokratische Struktur wie heute – mit dem Vergleich tut man uns Unrecht.
Wie würden Sie mit Ihren Worten die gegenwärtige Stimmung in Deutschland
beschreiben?
Die Stimmung ist sehr gereizt, hypernervös. Die Leute sind nicht auf den Punkt, sie
kommen nicht zu sich. Es ist eine sehr kapitalistische Gesellschaft geworden.
Wie charakterisieren Sie Rolf Köster, den Sie in „Urlaub vom Leben“ spielen?
Er ist eher passiv, wird von anderen auf diese Reise geschickt, wird dann aktiver und
denkt über sein Leben nach. Es ändert sich seine Wahrnehmung der Welt.
Hat diese Rolle auch etwas in Ihrer Wahrnehmung der Welt verändert?
Ja, ich habe einen neuen Blick auf mich als Schauspieler bekommen. Weil ich viele Dinge erlebt habe, mit denen ich vor ein paar Jahren noch ganz anders umgegangen wäre. Was dem Rolf Köster da passiert, ist mir in manchen Dingen auch widerfahren. Nur glaube ich, dass ich von Anfang an wacher war, ich habe mich nie so weit zurückgezogen wie er. Ich war auch schon immer jemand, der gern geschwiegen hat, aber nicht so extrem, dass da keine Kommunikation mehr stattfindet. Ich bin heute nicht mehr so nervös bei Dreharbeiten wie früher, ich lasse die Rolle leichter entstehen. Das hat viel mit Erfahrung zu tun, ich mache mir nicht mehr so viele Gedanken darüber, wie etwas wirkt, was ich vor der Kamera tue, ich lasse es wirken.
Wie war die Zusammenarbeit mit Schauspielkollegin Meret Becker?
Ich habe mir immer gewünscht, mit Meret zu arbeiten, seit ich sie in „Kleine Haie“
gesehen habe. Wir spielen gern zusammen, mögen und bewundern uns, aber wir sind
sehr verschieden, sie geht in der Schauspielerei ganz anders vor als ich. Sie bereitet sich auch gut vor, gleichzeitig lässt sie sich spontan auf Neues ein. Sie nimmt Dinge mit, die gerade entstehen. Sie macht auch gern Verrücktes, bei dem man sich fragt: „Hups, was macht sie denn jetzt schon wieder?“ Damit hat sie das ganze Filmteam überrascht. Das war sehr erfrischend. Petra Zieser, die meine Ehefrau spielt, und ich sind eher der gleiche Typ. In sofern war die Besetzung sehr ausgeglichen.
Was ist für Sie entscheidend bei der Zusammenarbeit mit Regisseuren?  Er oder sie sollte wache Augen haben. Es sei denn, jemand ist mir beim ersten Gespräch
schon vollkommen zuwider, weil er nur Schwachsinn redet, oder mich doof anguckt, dann weiß ich schon: Nee, was soll das? Wenn es aber jemand ist, bei dem ich spüre, dass da eine Reibung ist, an dem kann ich mich abarbeiten und er sich an mir, dann geht es. Wichtig ist mir auch, dass ein Regisseur mir sagen kann, was er sich unter meiner Rolle vorstellt. Das ist insbesondere bei den kleinen Rollen wichtig, die ich ja oft übernehme.
Wie stehen Sie zu Nebenrollen?
Für mich sind die Nebenrollen sehr wichtig, ich bin ein leidenschaftlicher Verfechter von Nebenrollen. Ich muss keine Hauptrollen haben, absolut nicht. Mich interessiert immer nur die Figur. Es gibt Figuren, die treten einmal kurz auf und können dadurch den ganzen Film erklären oder erfrischen, und das macht mir Spaß, da aufzutauchen und für Unruhe zu sorgen. Es gibt ja auch einen deutschen Filmpreis für Nebenrollen. Das Verhältnis zur Nebenrolle hat auch etwas damit zu tun, wie wir selber als Schauspieler uns betrachten. Shows der Eitelkeiten, darauf stehe ich nicht.
Dennoch bezeichnen Sie sich als Bühnensau…
Ja, Menschen gefangen zu nehmen, das gehört zum Beispiel beim Singen auf der Bühne dazu, ist aber da auch nur Spiel und nicht ernsthaft auf mich bezogen.

Interview: Nicole Trötzer

Abaton Kino, Hamburg, Dezember 2005.